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Fallbeispiel: Linie 12

Wenn in Frankfurt 740 Meter Straßenbahnstrecke gebaut werden sollen...


Der Bau der Verbindungsstrecke zwischen Konstablerwache und dem Börneplatz ist Symbol für den Abschied von der "Schienenfreien Innenstadt". Seitdem ist die Straßenbahn nicht mehr "Auslaufmodell" sondern fester Bestandteil des Frankfurter Nahverkehrsnetzes. Von der Entscheidung bis zur Eröffnung des 740 Meter langen Streckenabschnitts vergingen 10 Jahre. Als Fallbeispiel für eine Planungsgeschichte wird dieser lange Weg hier schlaglichartig dokumentiert.

1989: Die neue Koalition im Frankfurter Römer von SPD und Grünen gibt das Konzept der "Schienenfreien Innenstadt" auf. Als erstes Projekt soll die Straßenbahnlinie 12, die seit 1986 in einer Seitenstraße der Innenstadt endet, mittels einer kurzen Verbindungsstrecke von der Friedberger Landstraße via Konstablerwache zur Battonstraße (Altstadtstrecke) geführt werden. Im Antragspapier heißt es dazu: "Als Baubeginn ist das Frühjahr 1990 anzustreben".

1990: Streit um die Linie 12. Die CDU schlägt vor, die Züge der 12 im Tunnel der U5 an der Konstablerwache enden zu lassen. Die SPD spricht sich dagegen aus, da die 12 eine Durchmesserlinie werden soll. Mit den Stimmen von SPD und Grünen wird der Bau einer oberirdischen Verbindungsstrecke zur Battonstraße beschlossen. Die SPD sieht in der Verlängerung der Linie 12 eine Korrektur der schienenfreien Innenstadt, die der "größte verkehrspolitische Fehler" der letzten Jahre gewesen sei. Die CDU kritisiert den Beschluß. Sie prophezeit einen "Verkehrskollaps in der Innenstadt und den angrenzenden Bereichen", wenn Fahrspuren für Straßenbahngleise geopfert werden müßten.

März 1992: Der Frankfurter Verkehrsverbund (FVV) sieht in der geplanten Verlängerung der 12 einen unzuläßigen "Parallelverkehr". Die rot/grünen Vertreter im Verkehrsausschuß kritisieren, daß der FVV nicht schon früher Bedenken erhoben habe. Der Landeszuschuß und die Genehmigung des Regierungspräsiums für die neuen Strecke scheinen gefährdet. Januar 1993: Das hessische Verkehrsministerium sagt einen Zuschuß in Höhe von rund 7,5 Mio. DM zur Verlängerung der 12 zu. Beim Planfeststellungsverfahren werden, außer vom FVV, keine "grundsätzlichen Bedenken" gegen das Projekt geäußert.

Mai 1994: Der Baubeginn steht angeblich kurz bevor. Als Baukosten für die Verlängerung samt Umgestaltung der Straße (Bäume etc.) wird die Summe von 23 Mio. DM angegeben. Juli 1994: Die CDU appelliert an den Magistrat den Bau der Verlängerungsstrecke für die 12 aufzugeben. Sie bezieht sich dabei auf Zweifel der Industrie- und Handelskammer (IHK) am Verkehrswert der Strecke. Die IHK fürchtet ferner "wesentliche Beeinträchtigungen" für den Straßenverkehr in der Innenstadt.

Oktober 1994:Die CDU möchte das für die Linie 12 vorgesehene Geld lieber in den U-Bahnbau investieren. Inzwischen wird eine Baukostensumme von 25 Mio.DM angegeben.

Februar 1995:Der Frankfurter Baudezernent (SPD) erhält vom hessischen Verkehrsministerium einen Bewilligungsbescheid über 9,6 Millionen DM für die Verlängerung der SL 12. Der Baubeginn ist nun für Spätsommer 1995 vorgesehen.

Juni 1995: Endgültiger Magistratsbeschluß zum Bau der Verlängerungsstrecke, wobei Kosten von nur 20,7 Mio. DM genannt werden.

November 1995: Nach Kritik der neu gewählten CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth wird der Bau der Straßenbahnlinie 12 im Stadtparlament wieder zur Abstimmung gebracht und erneut beschlossen.

Februar 1996: Abermals versucht die CDU das Projekt SL 12 zu blockieren. Diesmal werden Mehrkosten von 4,3 Millionen DM zum Vorwand genommen (d.h. die schon 1994 genannte Summe von 25 Mio. DM wird erreicht).

April 1996: Die Stadtwerke sehen es plötzlich als technisch möglich an, die Pt-Wagen (die u.a. auf der Linie U5 verkehren) zu verbreitern und in den Tunnel der B-Strecke zum Hauptbahnhof einzufädeln. Die CDU sieht darin eine erneute Chance das Straßenbahnprojekt zu Fall zu bringen, da eine Verbreiterung des dafür benötigten Wagenparks nur 3 Mio. DM kosten würde. Wissentlich übersehen werden dabei später erforderliche Umbaukosten für Bahnsteige in Höhe von mindestens 18 Mio. DM bzw. der eventuell notwendige Bau einer Tunnelstrecke zwischen Konstablerwache und Hauptfriedhof (da sich Hochbahnsteige in diesem Abschnitt nicht verwirklichen lassen).

September 1996: Auf SPD-Anfrage nennt der Magistrat als Baubeginn die erste Jahreshälfte 1997. Laut Frankfurter Rundschau betragen "die bislang kalkulierten (Kosten) 15,3 Millionen" DM. Dazu kommen 4,7 Millionen DM "Mehrkosten", die größtenteils für die Planierung eines Grundstücks benötigt werden, das veräußert werden soll.

Februar 1997: Geschäftsleute aus der Großen Friedberger Straße und der Interessenverband "Zeil aktiv" protestieren gegen die Verlegung der jetzigen Endstelle der SL 12, da sie Umsatzeinbußen befürchten. Sie verweisen auf die Schillerstraße, die durch die Herausnahme der Straßenbahn verödete. Neue Töne aus der Geschäftswelt, wenn man an die Proteste einiger Offenbacher Geschäftsleute, die mit zur Stillegung der SL 16 in Offenbach führten, denkt.

April 1997: Die Bauarbeiten für die Straßenumgestaltung sind vergeben (Kosten 7,2 Mio. DM statt der veranschlagten 9 Mio. DM). Der Gleisbau und die technische Ausstattung der Strecke werden von den Stadtwerken ausgeschrieben.

Juni 1997: Erste Bauarbeiten zur Verlegung von Rohrleitungen und U-Bahnlüftungsschächten.

April 1999
: Beginn der Verlegung von Gleisen und Aufstellung der Oberleitungsmasten.

17. September 1999: Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) eröffnet die Streckenverlängerung. Als "Stück angewandte, praktizierte Demokratie" sieht sie den Umstand an, daß sie obwohl früher Gegnerin der Strecke die Eröffnung vornimmt. Inzwischen hätte sie aber erkannt, daß die neue Strecke gut für Frankfurt wäre und den Autoverkehr nicht behindern würde.

Pressestimmen zur Eröffnung der Streckenverlängerung

Zur Eröffnung der Straßenbahn über die Konstablerwache zur Altstadtstrecke schreibt die Frankfurter Rundschau am 18.09.99 (Schubert, Wolfgang: Petra Roth: "Die Straßenbahn ist lebensfähig" - Bei der Eröffnung der neuen Strecke für die Linie 12 erweist sich die Oberbürgermeisterin als lernfähig ):

[...] Zwar ist die Neubaustrecke nur 750 Meter lang, doch jeder Meter davon hat Symbolwert. Denn mit der City-Querung ist die Politik der schienenfreien Innenstadt endgültig zu Ende gegangen. Noch 1986 wollte die CDU die Trambahn ganz aus dem Herzen der Stadt verbannen und die Bedienung der City ausschließlich den U-Bahnen überlassen. Die Linie 12 ist "ein Stück angewandte, praktizierte Demokratie", sagte Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth bei der Eröffnung und trat damit die Flucht nach vorne an. Denn vor vier Jahren hatte die OB höchstpersönlich noch versucht, die Straßenbahnstrecke zu verhindern. Sie weigerte sich, einen entsprechenden Beschluss des Magistrats umzusetzen und musste schließlich vom Stadtparlament überstimmt werden. Sie habe die Streckenverlängerung damals als "zusätzliche, nicht notwendige Verbindung" angesehen, deren Finanzierung der Kommune weitere Schulden eingebracht hätte, meinte Roth.
Sie machte deutlich, dass sie heute anders denkt. "Die Straßenbahn führt ein Stück Urbanität in das Herz der Stadt zurück", sagte sie unter dem Beifall der Grünen im Römer, die an der Konstablerwache Flugblätter verteilten und an die Rolle der CDU im Trambahn-Konflikt erinnerten. Es sei auch kein Widerspruch, sagte die OB in Anspielung auf die am Vortag in Frankfurt eröffnete IAA, "dass die Stadt des Autos die Eröffnung einer neuen Straßenbahn feiert. Das passt zu Frankfurt." Zudem sei in der Konrad-Adenauer-Straße und der Kurt-Schumacher-Straße mit zwei Fahrspuren je Richtung noch ausreichend Platz für das Auto vorhanden. [...] Am Börneplatz ist die Straßenbahnhaltestelle in die Battonstraße vor das Dominikanerkloster verlegt worden, damit die Linien 11 (Fechenheim-Höchst) und 12 am selben Bahnsteig halten können. Auf dem von beiden Linien gemeinsam bedienten Abschnitt Börneplatz - Hauptbahnhof besteht in den Hauptverkehrszeiten künftig ein Fünf-Minuten-Takt. Die Kosten für die 750 Meter Neubaustrecke betrugen 20 Millionen Mark. 9,5 Millionen davon übernimmt das Land, den Rest finanziert die Stadt aus der Stellplatzablöse [...]

Im Kommentar der FR schreibt Wolfgang Schubert am 18.09.99 unter der Überschrift "Hoffnungen geweckt":

[...] Roths Bekenntnis zur Straßenbahn und damit zur Zukunftsfähigkeit dieses Verkehrsmittels ist bemerkenswert. Denn ihre Magistrats- und Parteikollegen Horst Hemzal (Bau) und Edwin Schwarz (Verkehr) halten weiterhin unerschütterlich an den alten Positionen fest, wonach nur die U-Bahn die Frankfurter Verkehrsprobleme lösen kann. In der CDU-Fraktion wird die Verlängerung der Linie 12 mehrheitlich noch immer als Fehler gewertet und hoffen viele Stadtverordnete nach wie vor, die Tram zur City-West noch zu Gunsten einer U-Bahn kippen zu können. Petra Roth hat einen Lernprozess hinter sich. Sie hat offenbar verstanden, dass in einer Stadt von der Größe Frankfurts auch Platz für die Straßenbahn ist. Jetzt muss die OB nur noch in der eigenen Fraktion Überzeugungsarbeit leisten. Ihr Auftreten am Freitag weckt Hoffnungen.

Außerdem wirft Wolfgang Schubert mit seinem Artikel "Die Straßenbahn: Mehrfach totgesagt und immer noch sehr lebendig" am 18.09.99 in der FR einen Blick zurück auf die Vorgeschichte der Streckenverlängerung:

Wären die verkehrspolitischen Weichen nach dem Willen der heutigen Oberbürgermeisterin Petra Roth und der CDU-Stadtverordnetenfraktion gestellt worden, hätte es am Freitag keine Feier an der Konstablerwache gegeben. Eine Verlängerung der 12 wäre nicht möglich gewesen. Die Union nämlich hatte in den 80er Jahren vehement für das Konzept der schienenfreien Innenstadt gekämpft: Die Straßenbahn sollten aus der City verschwinden.

Der Todestag der Tram war für den 29. September 1986 terminiert. An diesem Tag sollten die beiden U-Bahnlinien U 6 und U 7 in Betrieb gehen. Mit der Fertigstellung dieser wichtigen Ost-West-Achse, so der Wille der damals im Römer regierenden CDU unter OB Walter Wallmann, sollte der Trambahn-Verkehr in der City eingestellt werden. Braubachstraße, Theaterplatz und Münchner Straße sollten zu großzügigen boulevardartigen Erlebnisräumen umgestaltet werden - da hätte die Tram nach Meinung der CDU nur gestört. Dass Städte wie München oder Karlsruhe schon damals die Straßenbahn als leistungsfähiges und im Vergleich zur U-Bahn kostengünstiges Verkehrsmittel wiederentdeckt hatten, wollten die Alleinregierer im Römer nicht zur Kenntnis nehmen.

Den Protest gegen die Stillegungspläne bündelte die Aktion "Rettet die Straßenbahn". Das Aktionsbündnis aus Nahverkehrsfreunden, Gewerkschaftern, Seniorenbeiräten, kirchlichen Institutionen, SPD und Grünen brachte ein Bürgerbegehren auf den Weg. Innerhalb eines Jahres unterschrieben fast 60 000 Menschen. Ex-Zoodirektor und Fernseh-Plauderer Professor Bernhard Grzimek bewertete die Pläne bei einer Protest-Kundgebung auf dem Römerberg als "bürgerfeindlich", der heutige DGB-Landesvorsitzende Dieter Hooge nannte eine schienenfreie Innenstadt unsozial und unattraktiv. Der Druck der Bevölkerung zeigte Wirkung. Ende August teilte der Darmstädter Regierungspräsident Hartmut Wierscher (SPD) mit, er werde der Stillegung nicht zustimmen. Zumindest die Linien 14 (damals Mönchhof - Fechenheim), 15 (Stadion - Inheidener Straße) und 18 (Enkheim - Hausen) müssten auf der Altstadtstrecke erhalten bleiben. Eine Stillegung stehe mit dem öffentlichen Verkehrsinteresse nicht im Einklang.

Der kurz zuvor als Wallmann-Nachfolger gewählte Oberbürgermeister Wolfram Brück schäumte. Das Nein des RP sei "parteipolitisch motiviert", "sachlich unrichtig" und "rechtlich unhaltbar". Brück hielt an den Stilllegungsplänen fest. Der Konflikt eskalierte. Der FVV stellte seinen neuen Winterfahrplan vor - ohne die Straßenbahnen. Der RP beharrte auf Beibehaltung der City-Strecke. Brück drohte mit dem Ausstieg Frankfurts aus dem FVV. Der damalige Frankfurter SPD-Vorsitzende Martin Wentz - heute Planungsdezernent - konterte: "Brück macht Frankfurt bundesweit lächerlich." Zwei Tage vor dem U-Bahn-Start erreicht der Streit seinen Höhepunkt. Brück vertagt die U-Bahn-Eröffnung auf unbestimmte Zeit. Das Eröffnungs-Fest in der Leipziger Straße, der Schillerstraße und am Zoo bläst Brück ab. Geschäftsleuten, die schon Bratwürste und Apfelwein eingekauft hatten, droht der OB mit Konsequenzen, wenn sie dennoch feiern sollten. Der Trambahn-Zwist von Frankfurt macht bundesweit Schlagzeilen.

Anfang Oktober zeichnet sich ein Kompromiss ab. Die CDU signalisiert ihre Bereitschaft, die Schienen auf der Altstadtstrecke zu erhalten. Regierungspräsident Wierscher verzichtet im Gegenzug auf die Beibehaltung von drei Straßenbahnlinien und gibt sich mit einer Linie zufrieden. Der FVV beschließt, die 11 von Fechenheim kommend an Dom, Römer und Theater vorbei bis Hauptbahnhof fahren zu lassen. Mit drei Wochen Verspätung nehmen die U-Bahn-Linien U 6 und U 7 am 12. Oktober 1986 ihren Betrieb auf. Die City-Tram war vorerst gerettet. Doch in der Folge versuchte der FVV mehrfach, die 11 stillzulegen. Doch trotz wenig attraktiver Endhaltestelle an der Südseite des Hauptbahnhofs und trotz eines verordneten Umwegs über den Zoo nutzten zwischen 5000 und 10 000 Menschen pro Tag die Tram. Später wurde sie bis Höchst verlängert.

Mit dem Sieg von SPD und Grünen bei der Kommunalwahl im März 1989 änderte sich auch die Verkehrspolitik. Die Straßenbahn wurde wieder salonfähig, das Konzept der schienenfreien Stadt aufgehoben. Als eines der ersten "Vorzeigeprojekte" beschloss Rot-Grün die Verlängerung der Straßenbahnlinie 12. Die endete seit 1986 in der Großen Friedberger. Wer von Bornheim kommend zum Römer oder Hauptbahnhof wollte, musste immer umsteigen. Deshalb wollten SPD und Grüne die Gleise der 12 über die Konrad-Adenauer- weiter bis zur Battonstraße verlängern und die Bahn dort an die Altstadtstrecke anbinden. Im Antragspapier hieß es wörtlich: "Als Baubeginn ist das Frühjahr 1990 anzustreben". Daraus wurde nichts. Das Projekt wurde von vielen Seiten torpediert. Die Stadtwerke wollten nicht, Ämter legten sich quer. Mal passte die Gasleitung nicht ins Konzept, mal war das Abwasser im Weg, dann meldete das Gartenamt Bedenken gegen einen zu schmalen Grünstreifen an und für die CDU war die Fläche, die für das Auto in der Konrad-Adenauer-Straße verblieb, viel zu klein.

Als am 23. Juni 1995 der (rot-grüne) Magistrat endgültig grünes Licht für die Streckenverlängerung gab, legte sich zwei Tage danach bei der OB-Direktwahl die siegreiche Petra Roth (CDU) quer. Sie machte von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch. Die entstehenden Folgekosten seien nicht transparant dargelegt, lautete ihr Einwand. Später drohte Roth sogar mit dem Gang zum Verwaltungsgericht. Dann versuchte der neue Verkehrsdezernent Udo Corts (CDU), das Projekt zu stoppen. Die Folge war Stillstand. Erst 1997 nach der Kommunalwahl und der in der "Plattform" von CDU und SPD festgelegten Zusammenarbeit wurde die Ampel für die Verlängerung der 12 endgültig auf Grün geschaltet und mit dem Bau der 750 Meter langen Strecke begonnen.

Im Gegensatz zur FR hält sich Nils Brenner in der Frankfurter Neuen Presse nicht mit den politischen Querelen auf. In seinem Artikel "Sekt aus Pappbechern zur Jungfernfahrt" (FNP vom 18.09.99) schreibt er:

Der gemütliche Mittdreißiger, der im hinteren Teil des Wagens sitzt, macht seinem Ärger Luft: "Da bin ich ja zu Fuß schneller am Ziel!" Über den dichten Autoverkehr in der Frankfurter Innenstadt regt er sich nicht auf. Der Mann sitzt in einer der ersten Straßenbahnen der Linie 12, die bis zum Hauptbahnhof fährt. Mit Bus und Bahn schneller am Ziel? Das Gefühl hat er nicht gerade. Die Eröffnungszeremonie ist vorbei, der Musikzug hat die Instrumente eingepackt, die Prominenz ist aus der Straßenbahn geflüchtet. Jetzt fährt das Volk - vom Hauptbahnhof bis in den Frankfurter Osten.
"Mit der U-Bahn geht's natürlich viel schneller, doch ich genieße es, nicht umsteigen zu müssen", sagt eine Fechenheimerin, die in Zukunft die praktische Verbindung öfter nutzen möchte. In einem Rutsch bis zum Hauptbahnhof: Die neue Verlängerung macht's möglich (wir berichteten). Und bald soll die Strecke sogar bis Schwanheim führen. "In der Straßenbahn sieht man viel mehr von der Welt", meint eine Dame. Sie sei schon länger nicht mehr mit der Tram gefahren, doch es sei mal ganz nett. "Hier ist ja ein Dönerladen nach dem anderen", erkennt sie mit Blick auf die Gaststätten- und Ladenzeile in der Münchener Straße im Umkreis des Hauptbahnhofs.
"Eine neue Straßenbahn und schon beschmiert", sagt ein älterer Herr mit Blick auf die Kritzeleien auf seiner Sitzbank. Doch auch wenn einiges neu ist (zum Beispiel die Station an der Konstablerwache), die Straßenbahnwagen sind noch ganz die alten. Das ist auch die Sorge der Frankfurter Behindertenarbeitsgemeinschaft (FBAG). Denn selbst wenn am Börneplatz die Haltestellen behindertengerecht umgebaut sind, neue Niederflurwagen verkehren auf der Linie 12 in Zukunft nicht. Auch wenn bereits 1991 der Magistrat anderes beschlossen hatte. Doch davon war gestern nicht die Rede, die Hand voll Demonstranten standen im Abseits. Die Grünen im Römer freuten sich über die neue Straßenbahnstrecke auf einem Flugblatt. Nicht ohne einen hämischen Seitenhieb auf Petra Roth, die jahrelang das teure Projekt torpedierte und nun die Festrede hielt. Zusammen mit Schienenbahnfahrerin Ute Goedecke fuhr die OB mit der ersten 12. Auf Hochglanz poliert und mit Blumen und grünen Tannenzweigen geschmückt trat der Premierenzug seine Fahrt auf neuen Gleisen an. Es war fast wie bei der Jungfernfahrt eines Ozeanriesen. Die Fahrgäste winkten fröhlich dem Volk auf dem Bürgersteig zu. Einige hatten sogar Sekt mit an Bord gebracht und schlürften genüsslich aus Pappbechern. Die Bauarbeiter hatten indes keine Zeit für eine Freifahrt. An der Haltestelle Börneplatz zum Beispiel wurde noch eifrig am Pflaster gewerkelt. Lange hielt es Oberbürgermeisterin Petra Roth nicht in der rüttelnden Straßenbahn aus. Schon am Römer hatte sie genug, entschwand in ihre Gefilde. Kaum ausgestiegen, wies sie noch mit galanter Bewegung der 12 den Weg. Dann war das Stadtoberhaupt auf und davon. Und sogleich hatte der Alltag die Fahrgäste wieder: Eine Straßenbahn der Linie 11 blockierte die Strecke. Ute Goedecke bat um Verständnis. Mit zehnminütiger Verspätung kam der Eröffnungszug am Bahnhof an. Und viele, die dachten, jetzt gehe es direkt zurück zur Konstablerwache, belehrten die Lautsprecher eines besseren: "Endstation - Bitte aussteigen."